Fernando Pessoa „Das höhere Heidentum“

Der Text „Das höhere Heidentum“ von Fernando Pessoa beschreibt eine Entwicklung vom ursprünglichen Heidentum zum höheren Heidentum als Bestandteil des Christismus und er reflektiert die Zerstörung des Heidentums und der Mysterien durch das Christentum.

Der Titel des Textes könnte zu der Vermutung führen, dass Pessoa hier ähnlich wie sein Heteronym Ricardo Reis ein Programm des Heidentums beschreiben wollte. Entgegen dieser Annahme tritt jedoch in diesem Werk die Religionskritik in den Mittelpunkt seiner Argumentation. Die Entwicklung des Heidentums hin zu einem höheren Heidentum, wenn man es überhaupt als eine Entwicklung bezeichnen darf, handelt er in wenigen Sätzen ab.

Dabei ist das höhere Heidentum für Pessoa die, wie er es nennt, Verinnerlichung des Heidentums bzw. die Vergeistigung des Hellenismus. „In seinem direkten Ursprung oder in seinem grundlegenden Heidentum ist der Christismus ein Heidentum von drei Dimensionen, nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich; und nicht nur die Götter aller Glaubensüberzeugungen anerkennend, sondern auch alle Glaubensüberzeugungen vertiefend. Das ist das höhere Heidentum.“ (S.491)

Das Christentum wird von Pessoa auf drei unterschiedliche Tendenzen im Römischen Imperium zurückgeführt, auf die Verinnerlichung des Heidentums, auf das extra-jüdische Auftreten des jüdischen Monotheismus und auf den kosmopolitischen Einfluss des Römischen Imperiums. „In seinem Wesen ist das Christentum ein esoterisches Heidentum. In seiner Erschlaffung ist das Christentum ein degeneriertes Judentum, in seiner äußeren katholischen Form ist das Christentum ein religiöses Römisches Imperium.“ (S.491)

Das höhere Heidentum hat sich, wie Pessoa feststellt, dem jüdischen Monotheismus angeglichen. Pessoa bemerkt weiter, dass diese Angleichung für das Wesen des Heidentums tödlich sei.

Die Ausrichtung des Christismus wertet Pessoa zwar als richtig, doch die Interpretation dieser Ausrichtung betrachtet er als Irrtum. Das Heidentum lässt er dem entgegen gesetzt in einem positiven Licht stehen. „Das Heidentum ist auf seiner Ebene wahr, …“ (S.493)

Die Symbolik bei Platon, die Renaissance und die Romantik erkennt Pessoa als „Momente der Wiedergeburt“ des erloschenen Heidentums.

In einem weiteren Abschnitt gibt Pessoa als Unterschied zwischen den Göttern und Christus an, dass die Götter real und existent sind, während Christus nicht existent ist, sondern nur symbolisch. „Er ist nur Symbol von sich selbst. Er ist ein Schatten, der aber durch nichts projiziert wurde.“(S.495) Daraus resultiert sich für Pessoa, dass die Götter verstanden werden können, Christus aber nicht einmal von den vollkommenen Göttern verstanden werden kann, also auch nicht von der Menschheit.

Die Christusfigur wird von Pessoa als eine absurde und unvernünftige „Sache“ dargestellt. Die Kritik die Pessoa an der Christusfigur übt, spitzt sich in den extremen Äußerungen und der Kritik an den Religionen des Christentums und des Buddhismus zu. „Das Christentum wie der Buddhismus sind Verbrechen gegen die Menschheit, da sie Verbrechen gegen die göttlichen Gesetze sind.“ (S.496)

Als eigentliches Problem dieser Religionen sieht Pessoa den Versuch das Unoffenbare zu offenbaren. Oder anders Ausgedrückt, verurteilt er den Versuch Mysterien zu erklären, da diese Geheimnisse seien, die ausgesprochen ihren Charakter des Geheimnisses verlieren würden. So kann nach Pessoa das Mysterium Christi auch nicht offenbart werden, da die Offenbarung des Mysteriums ihre Zerstörung bedeuten würde. Pessoa stellt die Behauptung auf, dass dem Menschen die nötige Intelligenz und der nötige Seelenzustand fehlen, um eine derartige Offenbarung verstehen zu können. Daher gilt für Pessoa: „Alle Thesen des Christentums sind menschlich unverständlich.“ (S.498)

Für Pessoa steht der christliche Glaube demzufolge im Widerspruch mit der menschlichen Vernunft.

Er kommt zu dem Schluss, dass nur das Heidentum für die Menschheit real sein kann. Die Rückkehr zum Heidentum oder gar zu einem höheren Heidentum hält Pessoa im Gegensatz zu seinem Heteronym António Mora jedoch nicht für möglich, wie seine Schlussbemerkung erahnen lässt: „Schweigen wir nun zum Undurchschaubaren und Irrationalen. Senken wir erneut den Schleier, den wir nie werden heben können.“ (S.499)

Was haltet Ihr von dieser Theorie?